Jetzt legt er doch Hand an den Katechismus der katholischen Kirche. Papst Franziskus will die Position der katholischen Kirche zur Todesstrafe ändern. Zwar hatte er sie bereits mehrfach verurteilt. Aber offiziell steht in Abschnitt 2267 des Katechismus noch immer, dass „die überlieferte Lehre der Kirche den Rückgriff auf die Todesstrafe nicht ausschließt“, wenn „die Identität und die Verantwortung des Schuldigen mit ganzer Sicherheit feststehen“ und „wenn dies der einzig gangbare Weg wäre, um das Leben von Menschen wirksam gegen einen ungerechten Angreifer zu verteidigen“. Papst Franziskus erklärte nun gestern Abend: Es „ist zu betonen, dass, gleich wie schwer ein begangenes Vergehen ist, die Todesstrafe unzulässig ist, weil sie die Unverletzlichkeit und Würde der Person angreift“. Franziskus beklagte, dass auch der Kirchenstaat einst das „extreme und unmenschliche Mittel“ der Todesstrafe angewandt habe. „Wir übernehmen die Verantwortung für die Geschichte, und wir erkennen an, dass diese Mittel mehr von einer legalistischen als einer christlichen Denkweise bestimmt waren.“ Wenn die Kirche heute in dieser Frage neutral bleibe, werde sie „noch schuldiger“, so der Papst. Anlass für seine Ausführungen war eine Feierstunde zum 25. Jahrestag der Veröffentlichung des neuen Katechismus der katholischen Kirche am 11. Oktober 1992.
Änderung kein Widerspruch zur Lehre
Franziskus sieht in der Neupositionierung bei der Todesstrafe keinen Widerspruch zur bisherigen Lehre der Kirche. Er verweist darauf, dass die „Verteidigung der Würde des menschlichen Lebens vom ersten Augenblick der Empfängnis bis zum natürlichen Tod […] in der Lehre der Kirche immer eine entschlossene und maßgebliche Stimme gefunden“ habe. Er fügt dann einen interessanten Gedanken an, der eigentlich auch nichts Neues ist, dennoch aber gerne in der theologischen Debatte übersehen wird. „Die harmonische Entwicklung der Glaubenslehre verlangt jedoch, Positionen zur Verteidigung von Argumenten hinter uns lassen, die nun entschieden im Gegensatz zum neuen Verständnis der christlichen Wahrheit erscheinen.“ Das Kirchenoberhaupt macht also an dieser Stelle deutlich, dass es im „Verständnis der christlichen Wahrheit“ eine Dynamik und Entwicklung geben kann, vielleicht ja sogar muss. Ist es zu weit gegriffen, wenn man diesen Gedanken auch auf andere Felder kirchlichen Handelns überträgt?
Es könnte durchaus legitim sein. Zumal wenn man der Argumentation folgt, die Franziskus in seiner Rede gestern aufbaut. Er zitiert die letzten Worte des Prologs des Katechismus von 1992, die mit den Worten überschrieben sind „Vor allem – die Liebe“: „Die ganze Belehrung und Unterweisung muss auf die Liebe ausgerichtet sein, die kein Ende hat. Mag man also etwas vorlegen, was zu glauben, zu erhoffen oder zu tun ist, immer ist dabei vor allem die Liebe zu unserem Herrn zu empfehlen, damit jeder einsieht, dass alle Werke vollkommener christlicher Tugend einzig und allein in der Liebe entspringen und auf kein anderes Ziel gerichtet werden können als auf die Liebe.“ Franziskus verweist ausdrücklich darauf, dass der Katechismus von 1992 diese Worte aus dem „Catechismus Romanus“ aus dem 16. Jahrhundert zitiere.
Vor diesem Hintergrund sieht Franziskus die bisherige Position der katholischen Kirche zur Todesstrafe als nicht mehr tragbar. Sie sei eine „unmenschliche Maßnahme“, die die „persönliche Würde erniedrigt“. Er begründet seine Haltung mit dem Verweis auf die Heilige Schrift: „Sie [die Todesstrafe] steht in sich im Gegensatz zum Evangelium, weil willentlich beschlossen wird, ein Menschenleben auszulöschen, das in den Augen des Schöpfers immer heilig ist und für das in der letzten Bewertung allein Gott Richter und Bürge ist.“ Niemandem dürfe die Möglichkeit zu Reue und Umkehr genommen werden, führt das Kirchenoberhaupt seine Gedanken fort.
Schon Johannes Paul II. wollte Änderung
Franziskus hatte schon wiederholt die Todesstrafe verurteilt. In den gestrigen Ausführungen zitiert er etwa seinen Brief an den Präsidenten der Internationalen Kommission gegen die Todesstrafe vom März 2015. Damals hatte der Papst erklärt, dass es unter bestimmten Umständen notwendig sein kann zu töten, um einen Angriff abzuwehren. Diese Regelungen der Notwehr ließen sich aber nicht „ohne die Gefahr einer Verzerrung“ auf den gesellschaftlichen Bereich übertragen. „Denn“, so Franziskus zur Begründung, „wenn man die Todesstrafe anwendet, tötet man Menschen nicht aufgrund eines laufenden Angriffs, sondern aufgrund von Schäden, die in der Vergangenheit zugefügt wurden.“ Sie seien zum Zeitpunkt der Tötung „bereits unschädlich gemacht“. Das Kirchenoberhaupt hatte damals auch auf die Möglichkeit von Justizirrtümern verwiesen. „Die menschliche Gerechtigkeit ist unvollkommen, und die Nichtanerkennung ihrer Fehlbarkeit kann sie zur Quelle von Ungerechtigkeiten machen.“
Kardinal Christoph Schönborn, der seinerzeit als Redaktionssekretär an der Revision des Katechismus mitgearbeitet hatte, erklärte vor wenigen Tagen, dass Papst Johannes Paul II. eigentlich eine Ablehnung der Todesstrafe wollte. Er habe dann aber „aus Respekt vor der überlieferten Lehre“ die Formulierung der Katechismus-Kommission akzeptiert. Der Paragraph zur Todesstrafe wurde dann 1997 noch einmal revidiert und präzisiert. Ohne allerdings die Todesstrafe als solche zu ächten. Das wird sich nun ändern. Noch immer gibt es keine offiziellen Anzeichen dafür, dass Franziskus an einer Enzyklika rund um das Thema „Gerechtigkeit und Frieden“ arbeitet. Die Thematik der Todesstrafe könnte aber dort gut hinein passen. Vielleicht belässt er es aber auch bei einer Revision der entsprechenden Paragraphen.