Verabschiedet sich die katholische Kirche von der Idee des „gerechten Kriegs“? Das könnte sein. In der vergangenen Woche hat im Vatikan eine Tagung stattgefunden, die in Deutschland kaum Beachtung fand, dafür in anderen Ländern durchaus heftige Reaktionen hervorgerufen hat. Unter dem Titel „Gewaltfreiheit und gerechter Friede“ hatten der Päpstliche Rat Justitia et Pax und die internationale katholische Friedensbewegung Pax Christi nach Rom geladen. Am Ende stand eine Erklärung, in der die Teilnehmer den Papst auffordern, die Lehre vom „gerechten Krieg“ nicht mehr fortzuschreiben und in einer Friedensenzyklika Perspektiven eines „gerechten Friedens“ aufzuzeigen. Marie Dennis, der Co-Präsident von Pax Christi International begründete den Vorstoß am Ende der Tagung damit, die Vorstellung, dass es einen „gerechten Krieg“ gebe, mindere das Engagement, nach gewaltfreien Lösungen von Konflikten zu suchen. Und der Papst? Der hatte mehrfach davon gesprochen, dass es legitim sei, einen ungerechten Aggressor zu stoppen. Ob er damit den Einsatz militärischer Gewalt erlaubte, wurde im Anschluss an die Äußerungen immer wieder heftig diskutiert.
Vatikan ergriff Initiative für Konferenz
Die Initiative für die Tagung vergangene Woche ging vom Vatikan aus. Im Januar bekamen Theologen und Mitglieder von Pax Christi Post, dass man sich Mitte April in Rom über gewaltlose Konfliktlösungen unterhalten möchte. Am Ende kamen knapp 100 Fachleute für drei Tage in Rom zusammen. Breiten Raum nahmen Berichte von Bischöfen und Theologen aus Konfliktregionen ein. Sie kamen unter anderem aus Pakistan, Afghanistan, Südsudan, Uganda und dem Irak. Wie ein roter Faden habe sich durch die Erfahrungsberichte der Grundtenor gezogen, so Teilnehmer, dass (militärische) Gewalt als Antwort auf Gewalt nicht zu dauerhaften friedlichen Lösungen geführt habe. In der Abschlusserklärung der Tagung berufen sich die Teilnehmer auf neuere wissenschaftliche Studien, die belegten, dass gewaltfreie Widerstandsstrategien doppelt so erfolgreich seien wie gewaltsame. Die Teilnehmer begründen ihre Forderung nach einer Abkehr von der Lehre vom „gerechten Krieg“ mit dem Verweis auf Jesus, der eine radikale Gewaltfreiheit gepredigt und zum gewaltfreien Widerstand aufgerufen habe.
Für die katholische Kirche wäre die Abkehr von der Lehre des „gerechten Kriegs“ eine kleine Revolution. Angefangen von Augustinus, über Thomas von Aquin gibt es dazu eine lange Tradition in der kirchlichen Lehre. Im Katechismus der katholischen Kirche (2309)* werden die Bedingungen genannt, unter denen eine militärische Aktion zu rechtfertigen wäre. Es sind enge Grenzen gesetzt. Allerdings zeige der Blick in die Geschichte, so die Teilnehmer der Konferenz im Abschlussstatement, dass die engen Grenzen, die die kirchliche Lehre setzt, unsinnige militärische Aktionen nicht verhindern konnte. Vielmehr habe sie sogar dazu beigetragen, Kriege zu führen anstatt sie zu verhindern oder zu begrenzen. Marie Dennis erklärte zum Abschluss der Tagung, dass es natürlich notwendig sei, einen ungerechten Aggressor zu stoppen. Die Frage sei aber wie. „Wir glauben, so lange wir sagen, man kann das mit militärischen Mitteln machen, investieren wir nicht die kreative Energie, das intensive Denken, die finanziellen und menschlichen Ressourcen in die Suche nach Alternativen, die genau den Unterschied ausmachen könnten.“ So lange man davon ausgehe, dass Bombenabwürfe die Lösung des Problems seien, werde man keine anderen Lösungen finden. „Ich glaube, das wird uns mehr und mehr bewusst“, so Dennis.
Gibt es eine Friedensenzyklika?
Die Tatsache, dass der Anstoß für den Meinungsaustausch aus dem Vatikan kam, könnte darauf hindeuten, dass man dort in der Tat über ein Papier zum Thema nachdenkt. Die Idee einer Enzyklika schwirrte während der Beratungen durch den Raum, so Teilnehmer. In der Abschlusserklärung wird Franziskus konkret dazu aufgefordert, ein solches Lehrschreiben über Gewaltlosigkeit und „gerechten Frieden“ zu verfassen. Der Papst selbst hat in seiner Botschaft an das Treffen einmal mehr vom „dritten Weltkrieg in Teilen“ gesprochen. Das Thema beschäftigt ihn sehr. Das hat er immer wieder bei den Pressekonferenzen mit Journalisten durchblicken lassen. Seine Stichworte waren dann meist der Dialog, die scharfe Verurteilung von Waffenhandel und Waffenproduktion, der Zusammenhang von Gerechtigkeit, Umweltschutz und Frieden. In den Botschaften zum katholischen Weltfriedenstag hat Franziskus bereits verschiedene Aspekte beleuchtet. Vielleicht ist es mehr als 50 Jahre nach der Enzyklika Pacem in terris von Papst Johannes XXIII. an der Zeit, sich noch einmal neu dem Thema zu widmen, nachdem der überwunden geglaubte Ost-West-Konflikt wieder neu aufbricht und es zu einem immer schärferen Nord-Süd-Konflikt kommt, nachdem die militärischen Formen der Kampfführung neue Dimensionen annehmen und die Brutalität der Konflikte zuzunehmen scheint.
Franziskus liebäugelt sehr stark mit dem gewaltlosen Widerstand. Zwar erinnert er in seiner Botschaft an die Tagung an die Aussage des II. Vatikanischen Konzils in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes, dass „wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Lösung ausgeschöpft seien, man den Regierungen das Recht einer legitimen Verteidigung nicht versagen könne“. (vgl. GS 79). Dennoch ist die Botschaft von den typischen Franziskusvokabeln geprägt: der offene und ehrliche Dialog, direktes Gespräch, Begegnung, Brücken bauen. Er spricht von „aktiver Gewaltlosigkeit“, über die man nachdenken müsse.
In einem Punkt trifft sich Franziskus ganz klar mit seinen Vorgängern: Widerholt verurteilte er nationale Alleingänge bei Konfliktlösungen und forderte ein international abgestimmtes Vorgehen bei Konflikten – sprich die UNO braucht mehr Gewicht und Gewalt. Die spannende Frage wird sein, wie das Lehramt die Kurve vom „gerechten Krieg“ zum „gerechten Frieden“ hinbekommen will. Natürlich haben auch die Päpste der letzten 100 Jahre, angefangen von Benedikt XV., Kriege scharf verurteilt und betont, dass sie keine Lösung sind. Man erinnere sich etwa an den Einsatz von Johannes Paul II. gegen den Irakkrieg. Doch am Ende haben sie auch die Lehre vom „gerechten Krieg“ vertreten und im Katechismus festgeschrieben. Schon werden kritische Stimmen laut, die sagen, dass nicht alle Konflikte gewaltfrei zu lösen seien. Auch die früheren Päpste seien sich der Ambivalenz der Idee des „gerechten Kriegs“ bewusst gewesen, hätten aber so viel Realitätssinn gehabt, um einzusehen, dass es ganz ohne militärische Mittel nicht geht. Franziskus ist zuzutrauen, dass er auch bei diesem Thema einen ganz eigenen Weg geht.
*Im Katechismus der katholischen Kirche heißt es dazu in Abschnitt 2309:
„Die Bedingungen, unter denen es einem Volk gestattet ist, sich in Notwehr militärisch zu verteidigen, sind genau einzuhalten. Eine solche Entscheidung ist so schwerwiegend, dass sie nur unter den folgenden strengen Bedingungen, die gleichzeitig gegeben sein müssen, sittlich vertretbar ist:
– Der Schaden, der der Nation oder der Völkergemeinschaft durch den Angreifer zugefügt wird, muss sicher feststehen, schwerwiegend und von Dauer sein.
– Alle anderen Mittel, dem Schaden ein Ende zu machen, müssen sich als undurchführbar oder wirkungslos erwiesen haben.
– Es muss ernsthafte Aussicht auf Erfolg bestehen.
– Der Gebrauch von Waffen darf nicht Schäden und Wirren mit sich bringen, die schlimmer sind als das zu beseitigende Übel. Beim Urteil darüber, ob diese Bedingung erfüllt ist, ist sorgfältig auf die gewaltige Zerstörungskraft der modernen Waffen zu achten.
Dies sind die herkömmlichen Elemente, die in der sogenannten Lehre vom „gerechten Krieg“ angeführt werden.
Die Beurteilung, ob alle diese Voraussetzungen für die sittliche Erlaubtheit eines Verteidigungskrieges vorliegen, kommt dem klugen Ermessen derer zu, die mit der Wahrung des Gemeinwohls betraut sind.“
** Im Jahr 2000 hat die Deutsche Bischofskonferenz Überlegungen zu einem „gerechten Frieden“ vorgelegt. Darin versucht sie den Schritt zu gehen, der jetzt bei der Tagung in Rom als gesamtkirchliche Linie gefordert wurde. Auch der Ökumenische Rat der Kirchen fordert seit langer Zeit einen solchen Paradigmenwechsel in der kirchlichen Verkündigung und dem kirchlichen Engagement.